Leadership 4.0

Leadership 4.0

Was Sie darüber wissen sollten

Seit einiger Zeit zieht sich das Thema „Führung 4.0“ wie ein soeben in den Mund gestopfter Kaugummi durch die Führungsetagen heimischer Unternehmen, getreu dem Motto: Man weiß zwar nicht genau was einen erwartet, doch irgendwie wird es schon gut sein.

Schließlich ereilte uns vor Kurzem erst „Industrie 4.0“ und drängte sich höchst erfolgreich in beinahe alle Fachartikel und Managementzeitschriften, da scheint es nun nahezuliegen, die Führungskultur ebenfalls auf ein neues Niveau zu heben.

Was steckt tatsächlich hinter Führung 4.0?

Gerade erst geisterte vor einigen Jahren das Thema „Leadership 2.0“ durch sämtliche virtuelle Hallen, schon stehen die Führungskräfte der internationalen Konzerne und der mittelständischen Unternehmen vor der nächsten Entwicklungsstufe, nämlich 4.0.
Wo war eigentlich „3.0“ geblieben? Ging irgendwie unter, finden Sie nicht auch? Egal, die Zeit ist ja glücklicherweise schnelllebig genug, um über derartige Kleinigkeiten hinwegzunicken.

Im Jahr 2014 führte das Fraunhofer-Institut eine Studie zum Thema „Führungskräfte 2.0“ durch.¹ Darin gaben die Autoren als Umstände für die Weiterentwicklung der Führungskultur, die sich veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen an, die unter dem Kürzel VUCA (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) beschrieben werden. Außerdem sahen Sie als weitere Ursache dafür den Wertewandel innerhalb der Gesellschaft, Stichwort: Nachhaltigkeit im wirtschaftlichen Handeln.
Aber auch Themen wie Flexibilität, neue Rollenverteilungen und Veränderungen bisher gültiger Strukturen wurden als Gründe angeführt.
Wie drückte sich Führung 2.0 gemäß dieser Studie aus? Kommunikation statt vorgesetzter Vorgaben und Ziele, Entwicklungsorientierung der einzelnen Mitarbeiter, Projektarbeiten als zentrale Führungsaufgabe. Das Credo lautete: „Weg von zentralistischem und stark hierarisch geprägtem Führungsverhalten“.
So weit, so gut und in gewisser Weise macht ja alles auch einen Sinn, nicht wahr?

3.0 ging ja irgendwie spurlos an uns vorüber und jetzt wurde uns also Leadership 4.0 vorgesetzt. Was bedeutet diese neue Führungskultur für uns und welche Fehler sollte die Führungskraft von heute unbedingt vermeiden, sofern sie als moderner „Vier-Punkt-Nuller“ agieren möchte?
Hier zeigt sich das Bild bereits indifferenter: Während einige „Experten“ davon sprechen, dass unter „Führung 4.0“ eine Anpassung an die immer stärker werdende Digitalisierung, die gleichzeitig auch mit immer flexibleren Arbeitsplatzmodellen in einer immer globaleren Welt verstanden wird, sehen andere darin lediglich eine Angleichung an Industrie 4.0 und wieder andere meinen damit das Führen ohne Vorgesetztenfunktion. Beinahe bekommt man das Gefühl, endlich wurde der Heilige (Führungs-)Gral entdeckt und das gleich in mehrfacher Ausfertigung.

Viele scheinen jedoch einen neuheitlichen „New Age“-Ansatz darunter zu verstehen. Zumindest denke ich spontan an diesen Ausdruck, wenn ich von Anforderungen an Führungskräften lese ², wie:
– Flexibilität und Diversität zulassen und ermöglichen
– Prozess- statt Ergebnisorientierung
– Mittels Netzwerkstrukturen und kollektiver Intelligenz führen, damit moderne Dynamiken genutzt werden können
– Mitarbeitern Spielräume verschaffen, statt Vorgaben zu machen
– Die Führungskraft als Coach zur Reflexion von Kompetenzen und Arbeitsergebnissen
– Selbstbestimmung der Mitarbeiter sowie Wertschätzung ihrer Arbeit als Hauptmotivator.

Dies stellt einen kurzen Auszug dar, wie Führung 4.0 beschrieben wird. Diese Beschreibungen saugte ich mir nicht etwa aus den Fingern, sondern wir finden sie in unterschiedlichen Publikationen zu diesem Thema.

In einem Artikel der Zeitschrift „Personalmanagement“ vom Juni 2016³ wurde dieser moderne Führungsanspruch mit „Vertrauen als Basis der Führungskultur“ beschrieben.
Damit kann ich persönlich wunderbar leben.
Insgesamt werde ich das schale Gefühl nicht los, dass die derzeitige Medienlandschaft mit ihren Protagonisten die Führungskräfte vor Ort mit immer neueren Trends und knackigen Begriffen unterhalten möchte. Also jene Frauen und Männer, die tagtäglich mit ihren Mitarbeitern arbeiten und versuchen, den Spagat aus Unternehmenskennzahlen und Mitarbeitermotivation hinzubekommen,.
Ich persönliche habe – ehrlich gesagt – so meine Probleme mit sämtlichen Thesen, die Nummern am Ende tragen. Übrigens ein Verfahren, das in der Software-Entwicklung durchaus Sinn ergibt und ursprünglich aus diesem Bereich stammt. Sie suggerieren uns nämlich Innovationen ein, die sich mitunter – ähnlich einer Mimikry – lediglich als alte Schuhe in einem neuen Karton erweisen.

Also was jetzt?

In diesem Artikel in oben erwähnter Zeitschrift stand der für mich wohl wichtigste Satz, den ich in letzter Zeit zu diesem Thema las: „In der Theorie ist Führung also schon gut erforscht, es gibt schon lange Erkenntnisse darüber, welcher Führungsstil Erfolg verspricht und welcher nicht. Bislang konnten sich aber offenbar alle diese hehren Ideale in der Praxis nicht überall durchsetzen.“
Ich frage mich an dieser Stelle, wie kann sich eine Nachwuchsführungskraft, die über Führung 4.0 liest, in diesem Dschungel aus knackigen Begriffen zurechtfinden, die teilweise wie die kruden Ansichten eines entrückten (Business-)Weltverbesserers klingen?
Sie soll als Coach agieren, mit kollektiver Intelligenz führen? Spielräume verschaffen, statt Vorgaben zu machen und sich dabei auf die Prozesse selbst, statt auf die Ergebnisse zu konzentrieren?
Jetzt steht dieser junge Manager vor seinen Mitarbeitern, die Konzernvorgaben im Rücken. Also klar definierte Ziele, über die es nichts zu diskutieren gibt. Es wurde weder ein Freundeskreis gebildet, geschweige denn, dass irgendjemand seinen Namen dabei tanzte und dem inneren Tier in selbstbestimmter Weise freien Lauf ließ. Nein, dieser Manager bekommt seine Vorgaben vorgeknallt und die hat er zu erfüllen. Punkt.
Diese Nachwuchsführungskraft nun mit Begriffen wie „Prozess- statt Ergebnisorientierung“ ins Verderben stürzen zu lassen, halte ich für – gelinde gesagt – etwas riskant.

Jede Führungskraft, die als solche auch tatsächlich ein Team führt, also Ergebnisverantwortung besitzt und dafür zu sorgen hat, dass ihre Mitarbeiter mit Freude ihre Arbeit verrichten und sich im Team wohlfühlen, wird über diese theoretischen Ansätze wohl nur müde lächeln können. Natürlich machen alle Begriffe – die unter dem Begriff Führung 4.0 herumgeistern – irgendwie Sinn, doch sämtliche dieser Techniken sollten mit großer Sorgfalt umgesetzt werden.
Ich würde mir wünschen, dass sich insbesondere zum Thema „Führung“ künftig mehr Experten mit tatsächlicher Führungserfahrung zu Wort melden, als jene, die lediglich über ein exzellentes – jedoch nur theoretisches – Wissen verfügen.

Meine Empfehlungen für Sie zu Leadership 4.0

  1. Meiden Sie reflexartig alle Entwicklungen, die in ihrer Bezeichnung eine Zahl tragen. Warten Sie erstmals ab, ob sich dieser Trend gleich wieder legt oder doch an Relevanz besitzt.
  2. Meist verpacken „Experten“ bereits bekanntes Wissen in neue Kleider. Je knackiger gewählte Begriffe klingen, umso vorsichtiger sollten Sie damit umgehen.
  3. Führung ist normalerweise weit weniger kompliziert, als uns viele Bücher und Fachartikel einreden wollen. Konzentrieren Sie sich darauf, sich Vertrauen und Respekt ihrer Mitarbeiter zu erarbeiten, gehen Sie eine klare Linie und treffen Sie Entscheidungen. Ganz so banal, wie es jetzt klingen möge, ist Mitarbeiterführung nun leider auch nicht, aber so befinden Sie sich bereits auf einem sehr guten Weg.

 

Zusammenfassend interpretiere ich Führung 4.0 als den Versuch, den Mitarbeiter stärker in den Mittelpunkt des Unternehmens zu rücken und gleichzeitig dem hohen Führungsanspruch der sogenannten „virtuellen Mitarbeiterführung“ gerecht zu werden. Darunter verstehe ich ein Phänomen, das ich seit einigen Jahren beobachte: Mitarbeiterführung findet immer weniger auf persönlicher Ebene („Face to Face“) statt, sondern wird immer häufiger über Mail, Telefon etc. durchgeführt.
Diese Ansätze finde ich sehr wichtig, denn sie fordern Führungskräften einiges ab. Ich erkenne darin jedoch keine „neuen Techniken“, die dafür notwendig sind, sondern ich sehe die „Experten“ stärker darin gefordert, bereits etabliertes Know-how den neuen Herausforderungen anzupassen. Dieser Weg macht vieles leichter und vor allem brauchen wir dann auch keine neuen knackigen Begriffe zu lernen.

Literaturhinweise:
¹ http://www.businessmanagement.iao.fraunhofer.de/content/dam/businessmanagement/de/documents/Projekte/2015-03_Zukunftsfähige%20Führung.pdf
² http://innovation-evangelists.com/fileadmin/Dateien/PDF/Artikel/New_Leadership_-_Fuehrung_in_der_Arbeitswelt_4.0.pdf
³ http://zeitschriften.haufe.de/ePaper/personalmagazin/2016/429B08E0/files/assets/common/downloads/publication.pdf

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