Heul doch!
Alltagsgeschichten aus einem professionell geführten Konzernleben
Neulich unterhielt ich mich mit einem ehemaligen Arbeitskollegen. Dieser erzählte mir von der momentanen schwierigen Situation im Unternehmen und von der angespannten Stimmung unter den Kollegen. Eigentlich nichts Neues für mich, denn so kannte ich es auch, als ich damals die Firma verließ.
Die lieben Prämien
Nach einigen Minuten relativ belangloser Unterhaltung rückte er plötzlich mit dem wahren Grund heraus, weshalb er mich anrief. „Außerdem zahlen sie uns nicht die versprochene Prämie“, sagte er mit leiser Stimme.
Ich erfuhr, dass dieses Unternehmen im letzten Jahr – mal wieder, nach einigen Jahren der Abstinenz – Mitarbeitergespräche durchführte und in diesem Rahmen wurden mit allen Mitarbeitern individuelle Ziele vereinbart. Bei Erreichung der Vorgabe gab es eine Geldprämie, die, so fixierten es Geschäftsleitung und Betriebsrat, unabhängig von der Erreichung der Unternehmensziele ausbezahlt werde.
Mit anderen Worten: Es wurden individuelle Ziele ausgemacht, und wenn man diese erreicht, gibt es Kohle. Egal, ob die Konzernniederlassung ihre Gesamtziele schafft oder nicht.
Wie ging es weiter?
Die Niederlassung erreichte ihre Budgets natürlich nicht und der Geschäftsführer weigert sich seitdem, die Prämien der individuellen Ziele zu bezahlen.
Als mein Ex-Kollege neulich den Personalleiter in der Firmenzentrale traf, ein stets gut gelaunter und ausgesprochen hemdsärmeliger Typ, der den Geschäftsführer in Besprechungen auch schon mal ganz jovial „Tiger“ nennt, fragte dieser meinen Gesprächspartner, weshalb er denn so ein Gesicht zog.
„Wenn mir die Firma mein Geld nicht bezahlt, dann vergeht mir das Lachen“, meinte mein Ex-Kollege.
Der Personalleiter sah ihn einen kurzen Moment lang an, sagte: „Heul doch!“ und verschwand in seinem Büro.
Tja, was soll man dazu sagen?
An dieser Stelle erscheint es mir wichtig zu erwähnen, dass wir uns nicht in Kalles Kfz-Werkstatt befinden und auch nicht in einer Kneipe kurz vor der polnischen Grenze. Ich spreche hier von einem Konzern, der weltweite Niederlassungen unterhält. Mit der üblichen Flut an Standards, Auflagen, QM-Systemen und Berichtswesen, die ein großes Unternehmen nun mal liebevoll hegt und pflegt. Wir reden hier also von einer Firma, die wahnsinnig viel Wert auf die Einhaltung von Richtlinien legt und wer diese nicht einhält, begeht schweres Sakrileg und fällt hochgradig in Ungnade. Normales Leben im Konzernalltag eben.
Die bösen Mitarbeiter? Oder: Wie man in den Wald ruft, so schallt es zurück?
Ich persönliche finde den Spruch „Heul doch!“ grundsätzlich als ein typischer Schenkelklopfer und er sollte meiner Meinung nach viel mehr verwendet werden. Wenn ich es genau betrachte, hat „Heul doch!“ sein Schattendasein in der deutschen Sprachlandschaft wahrlich nicht verdient, rangiert er doch weit abgeschlagen hinter weitaus langweiligeren Sprüchen, wie „Ey, Alter!“, „Was geht?“, oder „Boah, geil, eh!“. Gleichzeitig wiederum verstehe ich nicht, mit welcher Kultur heutige Unternehmen geführten werden. Oder soll ich besser sagen: mit welcher Nicht-Kultur?
In meinen Gesprächen mit Geschäftsführern und Unternehmenslenkern jammern mir diese nur zu oft die Ohren voll (das ist jetzt nicht böse gemeint!), dass die Mitarbeiter heutzutage keine Bindung mehr an ihre Unternehmen kennen, wie viel Geld Mitarbeiterfluktuationen kosten und dass sich niemand mehr für seine Firma einsetze.
Auf der anderen Seite treffe ich immer wieder auf Manager, die häufig nur eine maximal geringe Kenntnis der Mitarbeiterführung besitzen und nicht bereit sind, sich darin weiterzubilden.
An dieser Stelle schreibe ich es mal ganz deutlich: Die Tätigkeit der Führungskraft ist ein Beruf und keine Berufung. Und wie in jedem Beruf muss ich zuerst einmal das Handwerkszeug lernen!
Dummerweise zählt „Vertrauen“ und damit in Verbindung eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu jenen Eigenschaften, die man besitzen muss und sich nicht in einem Kurs aneignen kann.
Manchmal ist es wirklich zum Heulen. Da hat er schon recht, der hemdsärmelige Personalchef!